Wenn Schweigen Schuld wird – Martin Niemöller und die Verantwortung des Glaubens

Die Welt verändert sich. Und das nicht immer zum Guten. So sehen wir manchmal viel Schlechtes um uns herum, nehmen es aber hin. Doch wer schweigt, macht sich mitunter schuldig an dem, was daraus folgt. Das Leben des evangelischen Pfarrers Martin Niemöller zeigt, in welches Unheil die eigene Gleichgültigkeit führen kann.

Mitläufer – aber kein Täter

Im Januar des Jahres 1892 wird Martin Niemöller in eine Welt hineingeboren, die sich zunehmend radikalisiert. In Kindheit und Jugend bleibt ihm der Hass gegenüber Personen des jüdischen Glaubens nicht verborgen. Als junger Mann erlebt er als Marineoffizier den Ersten Weltkrieg. Nach der Niederlage Deutschlands folgt eine soziale Not, die viele Millionen Arbeitslose und unter stetem Hunger Leidende kennt. Die begünstigt so auch den Aufstieg neuer Machthaber, die daraus Kapital schlagen wollen.

Dabei wohnt Niemöller als Sohn eines Pfarrers in einer christlichen Gemeinde. Starke Gebete und der Glaube geben ihm gerade in jenen Jahren halt, da vieles um ihn herum aus den Fugen zu geraten scheint. Allerdings kann sich Niemöller dem Reiz des Neuen nicht entziehen: Offen sympathisiert er vor allem in politischen Fragen mit Hitler und der hinter ihm stehenden Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, die – trotz aller negativen Gerüchte um sie – immerhin verspricht, die Menschen in Lohn und Brot zu bringen.

Der offene Bruch mit dem Regime

Allerdings ändert sich Martin Niemöllers Meinung recht schnell, als Hitler im Januar 1933 das Amt des Reichskanzlers einnimmt. Er beginnt damit eine Politik, die sich zunehmend auch gegen die Glaubensgemeinschaften richtet. Ungestört mischen sich die neuen Machthaber in jene Belange ein, die die Kirche betreffen. Aggressiver wollen die Nationalsozialisten mitreden, eingrenzende Vorschriften erlassen und damit dem Christentum das Fundament entziehen.

Als evangelischer Pfarrer mahnt Niemöller dieses Verhalten nicht nur in seiner christlichen Gemeinde an. Doch starke Gebete und das Vater unser helfen nicht – alsbald werden erste Kollegen von ihm ihrer Ämter enthoben. Unter Missachtung ihrer Menschenrechte werden einige der Betroffenen in Haft genommen und gefoltert. Eine Säuberungswelle wird damit in Gang gesetzt, der Niemöller nicht tatenlos zusehen kann. In öffentlichen Auftritten kritisiert er das NS-Regime immer wieder scharf und verweist auf die Trennung zwischen Staat und Kirche, die in den Anfangsjahren nach der Machtergreifung an Bedeutung verliert.

Der Kampf für die Freiheit der Kirche

Aufgrund der Entwicklungen in Deutschland gehört Martin Niemöller im April 1934 zu den Mitbegründern der sogenannten Bekennenden Kirche. Sie versteht sich nicht als politische Opposition zu Hitler, sondern kämpft für die Unabhängigkeit des Christentums. Niemöller ist es wichtig, dass sich in den Gotteshäusern Menschen aller gesellschaftlichen Schichten aufhalten können – ungeachtet ihrer Herkunft, ihres eigentlichen Glaubens und ihrer politischen Ansichten. Für Niemöller waren alle Menschen gleich.

Doch dabei kann er es nicht belassen. Vielmehr setzt er sich später ganz zum Missfallen der nationalsozialistischen Politiker – und deren Anhänger, die bald die Mehrheit im Volke bilden – für Frieden und Abrüstung ein. Dem zunehmenden verbalen Säbelrasseln, den Gedanken über Angriffe anderer Nationen und mancher Weltmachtsfantasie Hitlers stellt er sich in Reden, Schriften, Predigten und letztlich im offenen Widerstandskampf entgegen. In den damaligen Jahren ein kaum zu überschauendes Risiko.

Wenn nicht länger geschwiegen werden kann

Für Martin Niemöller waren die Jahre der Gleichgültigkeit und des Schweigens vorbei. Immer häufiger bringt er sich mit seinen Auftritten und Aussagen in Gefahr – ehe er im Jahre 1937 inhaftiert wird sowie als KZ-Häftling in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Frühling 1945 bleiben muss. Hier erlebt Niemöller nicht nur Hunger, Folter und jedes nur erdenkliche psychische und physische Leid, sondern er hinterfragt sein eigenes Vorgehen auch selbst.

„Als sie die Kommunisten geholt haben, habe ich geschwiegen – denn ich war ja kein Kommunist. Als sie die Gewerkschaftler geholt haben, habe ich geschwiegen – ich war ja kein Gewerkschaftler. Auch als sie die Juden geholt haben, habe ich geschwiegen – ich war ja kein Jude. Als sie mich holten, gab es niemanden mehr, der protestieren konnte.“ Das Zitat von Niemöller kann als Vorwurf an sich und als Schuldbekenntnis angesehen werden. Er wusste um seine Rolle im Nationalsozialismus und er bereute sein langes Schweigen.

Ein Leben für den Frieden

Nach dem politischen Zusammenbruch im Jahre 1945 übernimmt Martin Niemöller mehr Verantwortung denn je. So setzt er sich für das Gute in der Welt und für den Wiederaufbau im eigenen Land ein. Mehr als andere wird er als evangelischer Pfarrer zum neuen Gesicht der Kirche, die wieder an Bedeutung gewinnt – er selbst predigt dabei in mancher christlichen Gemeinde, in der er in den Jahren der NS-Diktatur nicht willkommen war.

Aber auch international verschafft sich Niemöller eine Stimme. So mahnt er in weltweiten Krisen wie etwa dem Vietnam-Krieg oder dem allgemeinen Konflikt zwischen Ost und West zu Frieden und Verständigung. Niemöller, der im Jahre 1984 starb und der bis zu seinem Lebensende das eigene Schweigen während der nationalsozialistischen Macht nicht ertragen konnte, sieht vor allem die Kommunikation miteinander als Schlüssel zum Erfolg – und verdammt damit die Gleichgültigkeit als Anfang vieler Sünden.